Kanada als Vorbild bei Nationalpark-Konzepten und Energiewende? Umweltausschuss informiert sich vor Ort

21.06.2016 | https://www.bayern.landtag.de/ Von: Zoran Gojic
Josef Beck, Generalkonsul in Vancouver, mit den Mitgliedern des Ausschusses. | © Bildarchiv Bayerischer Landtag
Josef Beck, Generalkonsul in Vancouver, mit den Mitgliedern des Ausschusses. | © Bildarchiv Bayerischer Landtag


  "Man muss die Menschen für das Konzept der Nationalparks begeistern. Nur wenn die Menschen verstehen, dass die Natur ein wichtiges Element ihrer Heimat ist und sie davon profitieren, haben die Nationalparks eine Zukunft". Mit diesen wenigen Worten umreißt Bill Hunt, Resource Conservation Manager, Parks Canada sehr prägnant die Philosophie der staatlichen Nationalparkverwaltung in Kanada. Und genau für diesen Ansatz interessierte sich der Umweltausschuss bei seiner Informationsfahrt in die kanadische Provinz Alberta, in der der älteste Nationalpark des Landes liegt. Gleichzeitig ergibt sich die Chance mitzuerleben, wie ein Land eine radikale Energiewende angeht – das Ölförderland Alberta hat 2015 die weitgehende Abkehr von fossilen Energiequellen erklärt.

Zunächst steht jedoch ein Besuch der Gruppe unter Leitung von Ausschussvorsitzendem Dr. Christian Magerl im Banff-Nationalpark an. 1885 gegründet, ist er beinahe so groß wie der Bezirk Oberfranken. Gemeinsam mit den benachbarten Nationalparks Kootenay, Yoho und Jasper bilden sie ein zusammenhängendes Gebiet, das zum UNESCO-Welterbe zählt. Insgesamt ist die Fläche der 46 Nationalparks größer als Deutschland. Im Banff-Nationalpark weisen über 95 Prozent der Fläche keinerlei Infrastruktur auf und sind für Fahrzeuge nicht zugänglich. Zwei Prozent des Nationalparks sind erschlossen und werden touristisch genutzt. Tourismus wird nicht als notwendiges Übel gesehen, sondern ist ein entscheidender Bestandteil des Konzepts. Im Unterschied zu den übrigen Nationalparks finanziert sich der Banff-Nationalpark ausschließlich aus eigenen Einnahmen und nicht aus Steuermitteln.

Nationalparks als Lebensgefühl eines Landes

3,6 Millionen Touristen besuchen den Park jedes Jahr. Zum Vergleich: In ganz Alberta leben etwas mehr als vier Millionen Menschen. „Unser Ziel ist nicht nur der Schutz des Ökosystems, sondern die Einbindung der Menschen in unsere Arbeit. Wir wollen auch erklären, was wir machen und warum. 80 Prozent der Kanadier leben heute in Städten und haben oft keinerlei Bezug zur Natur, insbesondere die jungen Menschen. Um die werben wir ganz gezielt und auch um die Immigranten, die aus unterschiedlichsten Kulturkreisen nach Kanada kommen.“ Nationalparks als Möglichkeit zur Integration, so sehen das die Kanadier, die generell dazu neigen, Problemen pragmatisch zu begegnen. Also werden für die Neu-Kanadier, wie man in Kanada sagt, fertige Zelte auf den Campingplätzen angeboten, um die Schwelle niedrig zu halten. Bei der Rundreise durch den Banff-Nationalpark fällt auf: das Konzept geht auf. Junge Kanadier sind ebenso unterwegs wie Familien, die aus Indien oder Asien stammen.

Verantwortungsbewusstsein bei den Kommunen im Nationalpark

Chad Townsend, der Koordinator für Umweltbelange der Stadt Banff, erklärt dem Ausschuss von den Herausforderungen für eine Gemeinde, die in einem Nationalpark liegt. „Wir dürfen uns nur innerhalb genau definierter Grenze entwickeln, das stellt uns natürlich vor Herausforderungen. Verdichtung klingt in der Theorie immer gut, aber wenn man den Leuten erklärt, dass dort wo vorher ein Haus war, vier neue dazukommen, wird es schwierig.“ Grundsätzlich versucht man dem Gedanken des Nationalparks als Gemeinde gerecht zu werden. Dazu gehört auch ein spezielles Abfall-Management, um keine Wildtiere anzulocken. Auch der Verkehr wird umweltgerechter gestaltet. Es gibt ein sehr gut ausgebautes Nahverkehrssystem und die Menschen werden ermutigt, sich mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu bewegen. „In einem Gebiet von vier Quadratkilometern ist das machbar. Und so entscheiden sich mittlerweile 60 Prozent der Einwohner zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nehmen. Sogar im Winter ist die Zahl nicht viel geringer“, erzählt Townsend und fügt nicht ohne Stolz an: „Der höchste Wert in Alberta, vielleicht sogar in Kanada.“ Banff hat zudem als erste Kommune Kanadas ein eigenes Programm zur Förderung von Solarenergie gestartet und unterstützt dabei nach deutschem Vorbild Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlagen. Das Projekt wird sehr gut angenommen – obwohl Strom in Alberta immer noch sehr billig ist.

Kooperation mit bayerischen Unternehmen

Auch Wassersparer werden mit Anreizen unterstützt. „Unsere Quelle muss sauber bleiben, weil weiter südlich drei Provinzen dieses Wasser nutzen. Und das geht nur, wenn wir möglichst wenig Abwasser haben“, erläutert Townsend. Das Abwasser wird aufbereitet und der Klärschlamm gemeinsam mit den organischen Abfällen kompostiert. Zudem hat Banff als eine der ersten Städte bei der Straßenbeleuchtung auf LED-Lampen umgestellt. „Wir haben  mit der bayerischen Firma Osram kooperiert. Die suchten einen Ort, indem sie ihre neuen LED-Lampen unter extrem kalten Bedingungen testen konnten und die haben wir nun wirklich im Winter“, so Townsend. „Alles in allem aber hat sich die Gemeinde sehr gut auf das Leben im Nationalpark eingestellt.“

Millioneninvestitionen in den Wildschutz

Die Nationalparkverwaltung macht strenge Vorgaben, unterstützt aber die Gemeinden durch Infrastrukturmaßnahmen. So ist der Highway 1, der Kanadas Osten mit dem Westen verbindet und der quer durch den Nationalpark verläuft, auf vier Spuren ausgebaut worden. Im Ausgleich wurden sechs Wildbrücken und 38 Tunnel errichtet, um die Wanderung der Tiere zu ermöglichen. Zusätzlich wurden 80 Kilometer Zaun errichtet. Bill Hunt von Parks Canada ist zufrieden mit dem Resultat. „Das Angebot wird angenommen, wir haben weniger Wildunfälle und mittlerweile bringen die Tiere ihrem Nachwuchs die neuen Wanderrouten bei. Wir beobachten mit Kameras, Gentests und Sendern die Bewegungen der Tiere. Wir müssen ja herausfinden, ob sich die Investitionen lohnen“. Eine Wildbrücke kostet immerhin rund vier Millionen Euro. So sehr Touristen und sportliche Aktivitäten – es gibt vier Skigebiete und einen Golfplatz – willkommen sind, so sehr achten die Parkwächter auf das Wohl der Tiere. Jagd ist verboten, Angeln mit Erlaubnis in bestimmten Gebieten möglich. Im Frühjahr werden die meisten Straßen abends gesperrt, um die Tiere nicht zu stören. Auch die Grenzwerte für Schadstoffe im Wasser beispielsweise sind deutlich niedriger als im nationalen Durchschnitt.

„Waldbrände sind gut“

Die Parkverwaltung, das betont Hunt, sieht sich selber immer in der Entwicklung. Man versucht dazuzulernen, sich weiter zu entwickeln. Deswegen lässt man heute im Unterschied zu früher auch Waldbrände wieder zu. „Sie gehören zum Ökosystem. Feuer schlägt natürlich Schneisen, die eine Ausbreitung von Ungeziefer verhindern, lichtet das Unterholz, das die Brandgefahr potenziert und verjüngt die Flora. Manche Bäume sind Feuerkeimer, die brauchen die Hitze sogar“. Die Parkverwaltung selbst legt nun auch kontrolliert Feuer. „Zunächst nur in sehr geringem Umfang, um der Bevölkerung zu zeigen, dass keine Gefahr droht und so das Vertrauen zu gewinnen. Mittlerweile legen wir sehr große Feuer und die werden nun als Spektakel betrachtet“. Auch beim Kontakt zwischen Tieren und Menschen lerne man ständig dazu. „Früher haben die Bären im Müll Essen gefunden und den Menschen als Futterquelle gesehen, das hat zu gefährlichen Situationen geführt. Das gibt es heute gar nicht mehr. Wir haben Müllbehälter entwickelt, die Bären nicht öffnen können. Manchmal haben Touristen auch Schwierigkeiten, die Mechanik zu begreifen“.

Radikale Energiewende in Alberta

Zum anderen großen Thema treffen sich die Ausschussmitglieder mit Ed Whittingham, dem Direktor der Umweltorganisation Pembina: die Energiewende in Alberta. 2015 hat die neu gewählte Regierung Albertas eine radikale Kursumkehr in der Energiepolitik beschlossen. Bis 2030 will Alberta – die Provinz, die 70 Prozent der kanadischen Kohle fördert – komplett aus der Stromerzeugung durch Kohle aussteigen. Bislang erzeugt Albert gut 60 Prozent seines Strombedarfs mit Kohle. Für Alberta ein außerordentlich ehrgeiziges Projekt. Zusätzlich soll der Anteil erneuerbarer Energie bis 2030 auf 30 Prozent steigen. Ebenfalls 2015 haben sich alle kanadischen und die Bundesregierung darauf geeinigt, gemeinsam den Klimaschutz voranzutreiben. „Zum ersten Mal in der Geschichte. Das war ein einzigartiger Moment, als Politiker, Umweltverbände, aber auch die Chefs der großen Energieunternehmen das gemeinsam bekannt gegeben haben“, versichert Whittingham. Auch der Methanausstoß – bedeutsam bei der Förderung und Verbrennung von Erdgas, soll um 45 Prozent verringert werden und das sogar bis zum Jahr 2015 – basierend auf den Werten von 2013. Auch Vorgaben für die Energieeffizienz sollen vorgegeben werden, bislang ist Alberta die einzige Provinz ohne Regelungen dazu. Und die Förderung von Ölsand wird auf maximal 100 Megatonnen jährlich begrenzt. Radikale Schnitte für eine Provinz, die bislang von fossilen Energiequellen gelebt hat. Für Whittingham eine revolutionäre Entwicklung. „Die Gesetzgebung in Alberta hat die Provinz British Columbia dazu gebracht Klimaschutzziele zu verankern. Und das wiederum hat die kanadische Bundesregierung bestärkt auch den Klimaschutz auf die Fahnen zu schreiben und mit den USA ein Abkommen mit konkreten Zielen abzuschließen.

„Die Energiekosten werden steigen“

„Wenn es uns noch gelingt Mexiko mit ins Boot holen, könnten wir der erste Kontinent werden, der sich komplett dem Klimaschutz verschrieben hat“, so Whittinmgham. „Und die Arbeit beginnt erst, jetzt müssen wir die Ziele in Verordnungen und Gesetzen umsetzen. Uns allen ist klar, dass die Gefahr eines Rückschlags groß ist“. Denn die Aufgaben sind immens. „Strom soll die Energie für Wärme und Mobilität liefern. Da müssen wir neue Wege gehen und die Energiewende umfassender denken. Die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs gehört da genauso dazu wie die Einbeziehung der Stadtentwicklung, die kurze Wege für die Menschen ermöglicht.“ Über eines aber dürfe sich niemand in Kanada Illusionen machen: so billig wie derzeit wird Energie nicht mehr sein können. „Die Energiekosten werden steigen, daran werden sich die Kanadier gewöhnen müssen. Sie haben keine andere Wahl“.